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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 19.03.2001
Aktenzeichen: 3 Vas 48/00
Rechtsgebiete: EGGVG, StGB, GVG, VwGO, VwVfG, StPO, GG
Vorschriften:
EGGVG § 23 Abs. 2 | |
EGGVG § 30 Abs. 1 | |
EGGVG § 30 Abs. 2 | |
EGGVG § 30 Abs. 3 | |
StGB § 353 b Abs. 2 Nr. 1 | |
GVG § 17 a Abs. 3 S. 2 | |
VwGO § 40 Abs. 1 | |
VwVfG § 4 ff. | |
VwVfG § 5 Abs. 2 | |
StPO § 96 | |
StPO § 98 Abs. 1 | |
StPO § 94 ff. | |
GG Art. 44 Abs. 2 S. 1 | |
GG Art. 44 Abs. 3 | |
GG Art. 44 Abs. 1 | |
GG Art. 44 Abs. 1 S. 1 | |
GG Art. 44 Abs. 2 | |
GG Art. 21 Abs. 1 | |
GG Art. 44 Abs. 2 S. 2 | |
GG Art. 1 Abs. 3 |
3 Vas 48/00
Entscheidung vom 19.3.2001
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS
In der Justizverwaltungssache
des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, vertreten durch den Vorsitzenden Volker-Neumann (Bramsche), MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
- Verfahrensbevollmächtigter: ... -,
wegen Herausgabe der vollständigen Ermittlungsakten 6 Js 3204/00 der Staatsanwaltschaft Wiesbaden durch das Hessische Ministerium der Justiz,
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf den Antrag nach § 23 Abs. 2 EGGVG vom 20.9.2000 am 19. März 2001 beschlossen:
Tenor:
1. Das Hessische Ministerium der Justiz hat die bisher nicht herausgegebenen Teile der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Wiesbaden (einschließlich der Beweismittelordner), die aufgrund und im Zusammenhang mit der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen M. K., P. C. S.-W., H. W. und andere Personen wegen der sogenannten hessischen CDU-Spendenaffäre zum Aktenzeichen 6 Js 3204/00 angelegt und gefertigt wurden, an den Vorsitzenden und den stellvertretenden Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vollständig herauszugeben.
2. a) Der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende entscheiden gemeinsam darüber, welche Aktenteile dem Untersuchungsausschuß zum Zwecke der Beweiserhebung vorgelegt werden sollen.
b) Soweit hierüber zwischen dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden keine Einigung erzielt wird, bestimmen beide gemeinsam eine dritte sachkundige Person, die in den Fällen fehlender Einigung über die Vorlage von Aktenteilen an den Untersuchungsausschuß den Ausschlag gibt.
c) Können sich der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende nicht über eine dritte sachkundige Person verständigen, so wird diese vom erkennenden Senat bestimmt.
3. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat sich erledigt, soweit Aktenteile des Ermittlungsverfahrens 6 Js 3204/00 der Staatsanwaltschaft Wiesbaden ohne Unkenntlichmachung an den 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages vom Hessischen Ministerium der Justiz herausgegeben worden sind.
4. Im übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung verworfen.
5. Der Gegenstandswert wird auf 100.000,- DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Der 1. Untersuchungsausschuß Parteispenden" des Deutschen Bundestages hat bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main gemäß § 23 Abs. 2 EGGVG beantragt, das Hessische Ministerium der Justiz zu verpflichten, die vollständigen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen K. u. a. Az.: 6 Js 3204/00 -, die wegen der sogenannten hessischen CDU-Spendenaffäre" angelegt und gefertigt wurden, im Wege der Amtshilfe an den Antragsteller herauszugeben. Grundlage dieses Verpflichtungsbegehrens ist der gemäß den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 2. Dezember 1999 zu BT-Drs. 14/2139 sowie vom 18. Februar 2000 zu BT-Drs. 14/2686 u. a. wie folgt lautende Untersuchungsauftrag: Der Ausschuß soll klären, inwieweit Spenden, Provisionen, andere finanzielle Zuwendungen oder Vorteile direkt oder indirekt an 1. Mitglieder und Amtsträger der ehemaligen von CDU/CSU und F.D.P. getragenen Bundesregierungen und deren nachgeordneten Behörden, 2. die die damaligen Bundesregierungen tragenden Parteien und/oder Fraktionen und deren Funktionsträger oder deren Beauftragte oder 3. sonstige Personen und Institutionen geflossen sind bzw. gewährt wurden, die dazu geeignet waren, politische Entscheidungsprozesse dieser Bundesregierungen und/oder deren nachgeordnete Behörden zu beeinflussen bzw. die tatsächlich politischen Entscheidungsprozesse beeinflußt haben."
In seiner 7. Sitzung am 24. Februar 2000 hat d er Antragsteller den Beweisbeschluß 14 140 gefaßt mit dem Inhalt: Es wird Beweis erhoben zum Untersuchungsauftrag . . . durch Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft Wiesbaden bezüglich der Ermittlungsverfahren gegen M. K., H. W. und P. C. W., (Az.: 6 Js 3204/00)."
In der 9. Sitzung des Antragstellers am 16. März 2000 wurde beschlossen, die Akten aus dem Beweisbeschluß 14 140 in Analogie zur Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages wie VS-Vertraulich" zu behandeln, um die Mitglieder des Aus- schusses unter Hinweis auf § 353 b Abs. 2 Nr. 1 StGB so zur strafbewehrten Geheimhaltung zu verpflichten.
Die Ermittlungsakten, die Gegenstand des Herausgabebegehrens des Antragstellers sind, befinden sich derzeit in Verwahrung und Obhut des Hessischen Ministeriums der Justiz als vorgesetzter Behörde der Staatsanwaltschaft. Das Ministerium hat aber inzwischen einen Teil der Akten an den Antragsteller herausgegeben, und zwar gemäß dem Aktenplan, der als Anlage dem Schriftsatz des Antragstellers vom 15. März 2001 beigefügt ist. Insoweit hat der Antragsteller den Rechtsstreit auch für erledigt erklärt.
Bezüglich der übrigen Aktenteile führen im vorliegenden Verfahren der Antragsteller und das Hessische Ministerium der Justiz einen umfänglichen Rechtsstreit darüber, ob das Ministerium zur vollständigen Herausgabe der Akten an den Antragsteller verpflichtet ist. Der Antragsteller beruft sich zur Rechtfertigung seines Begehrens auf vollständige Herausgabe der Akten im Kern seiner Ausführungen auf Art. 44 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 GG. Dieser umfasse im Rahmen der Amtshilfe insbesondere auch das Recht auf Aktenvorlage durch andere Behörden, die über Akten verfügen, die der Untersuchungsausschuß zur Erfüllung seines Auftrages benötige. Eine parlamentarische Enquete habe das Recht, sich selbst Zugriff auf die gewünschten und benötigten Informationen aus den existierenden Unterlagen zu beschaffen, auch aus bei der Staatsanwaltschaft vorhandenen Unterlagen. Demgegenüber bestünden keine Gegenrechte und Gegenverpflichtungen des Hessischen Ministeriums der Justiz zum Schutze der hessischen CDU.
Demgegenüber beruft sich das Hessische Ministerium der Justiz unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf das Bestehen solcher Gegenrechte und Gegenpflichten. Kern seiner Ausführungen ist, daß der Adressat eines Aktenherausgabeverlangens vor Herausgabe zur Prüfung am Maßstab der Rechte Dritter verpflichtet sei. Hierzu gehöre auch der geschützte Innenbereich einer Partei insoweit, als der Schutz parteiinterner Daten zur Gewährleistung der Chancengleichheit und Staatsunabhängigkeit unerläßlich erscheine.
II.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfüllt alle Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 23 ff. EGGVG.
Die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtsweges hat der Senat gemäß § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG durch Vorabentscheidung vom 24.10.2000 bejaht (vgl. NStZ-RR 2001, 44). Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Hessischen Ministeriums der Justiz, das den Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO für gegeben erachtet hat, ist durch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12.1.2001 2 ARs 355/00 verworfen worden.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist teilweise begründet.
2. Das generelle Recht des Antragstellers, die Herausgabe der bei dem Hessischen Ministerium der Justiz in Verwahrung und Obhut befindlichen strafrechtlichen Ermittlungsakten zu verlangen, ergibt sich aus dem in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG statuierten Recht auf Selbstinformation. Danach ist der Antragsteller als vom Bundestag eingesetzter Untersuchungsausschuß befugt, innerhalb der durch den Einsetzungsbeschluß festgelegten Grenzen diejenigen Beweise zu erheben, die er für erforderlich hält. Darin ist auch das Recht eingeschlossen, die Vorlage von Akten zu verlangen. Akten sind ein besonders wichtiges Beweismittel bei der Untersuchung politischer Vorgänge. Das Recht auf Aktenvorlage gehört deshalb zum Wesenskern" des Untersuchungsrechts (vgl. BVerfG E 67, 100, 127 ff., 132; Magiera in Sachs, GG, 2. Aufl. 1999, Art. 44 Rdn. 21 24).
Das Recht auf Vorlage der bereits in behördlicher Verwahrung befindlichen strafrechtlichen Ermittlungsakten wird auch durch Art. 44 Abs. 2 GG, wonach auf Beweiserhebungen die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung finden, grundsätzlich nicht eingeschränkt (vgl. Achterberg/Schulte in v. Margoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., 2000, Art. 44 Rdn. 121 ff.). Die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß bezieht sich nur auf die Modalitäten der Beweiserhebung, d. h. den Prozeß der Beweisverschaffung und Beweissicherung. Zweck dieser Verweisung ist, das Beweisverschaffungsrecht mit Zwangsmitteln zu bewähren, zugleich aber auch Betroffene zu schützen (vgl. Morlok in Dreier, GG, Bd. 2, 1998, Art. 44 Rdn. 44). Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die CDU Hessen gegenüber dem Aktenvorlagebegehren des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu schützen ist, wird später darzulegen sein.
Das Aktenvorlagerecht erfährt auch durch Art. 44 Abs. 3 GG, der Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Recht- und Amtshilfe verpflichtet, keine generelle Einschränkung. Für die Vorlage von Regierungsakten des Bundes ist dies spätestens seit der Flick"- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 67, 100, 128, 129; Achterberg/Schulte, a.a.O., Art. 44 Rdn. 149). Denn das BVerfG hat in dieser Entscheidung den Anspruch auf Aktenvorlage als Bestandteil des parlamentarischen Kontrollrechts dem Beweiserhebungsrecht gemäß Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG zugeordnet.
Im vorliegenden Verfahren sind allerdings Gegenstand des Herausgabebegehrens keine Regierungsakten des Bundes, sondern staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten des Landes Hessen. Das BVerfG hat sich in der Flickentscheidung zu dieser Fallkonstellation nur beiläufig wie folgt geäußert (vgl. BVerfG E 67, 100, 128, 129): Wenn ein Untersuchungsausschuß des Bundestages von Behörden, die seiner Kontrolle nicht unterliegen, also etwa solchen der Länder und der Gemeinden, Akten anfordert, mag dies als Inanspruchnahme von Amtshilfe anzusehen sein." In der Literatur wird daraus teilweise die entsprechende Anwendung der §§ 4 ff. VwVfG hergeleitet (vgl. u. a. Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 44 Rdn. 7; Morlok in Dreier, GG, 2. Aufl. 1998, Art. 44 Rdn. 51). Das kann jedoch nicht bedeuten, daß die Versagungstatbestände des § 5 Abs. 2 VwVfG eine eigenständige Grenze für die Befugnisse eines Untersuchungsausschusses bilden. Auch vom BVerfG wird diese Konsequenz nicht gezogen. Der Senat folgt in diesem Zusammenhang, nämlich der geforderten Vorlage von Landes- und Gerichtsakten, grundsätzlich der Auffassung von Achterberg/Schulte (a.a.O. Art. 44 Rdn. 154), die hierzu ausführen: Soweit sich in den Akten geheimhaltungsbedürftige Informationen befinden, ist von seiten des Untersuchungsausschusses dafür Sorge zu tragen, daß der Geheimhaltungsschutz gewahrt wird. Sollte sich der Untersuchungsausschuß dazu nicht in der Lage sehen, gelten die für die Vorlage von Regierungsakten des Bundes entwickelten Grundsätze." Was das im einzelnen für den vorliegenden Fall bedeutet, wird im folgenden zu erörtern sind.
3. Wird somit einerseits das sich aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG ergebende Aktenvorlagerecht des Antragstellers weder durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 noch durch Art. 44 Abs. 3 GG generell eingeschränkt, so stehen der unmittelbaren Herausgabe der gesamten Ermittlungsakten an das Plenum des Untersuchungsausschusses andererseits das sich aus Art. 21 Abs. 1 GG ergebende Recht der Parteien auf Chancengleichheit entgegen. Daß durch das Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses Grundrechte Dritter betroffen sein können und auch nach einer vorzunehmenden Abwägung schutzwürdig sind, ist vom Bundesverfassungsgericht und der ihm folgenden Literatur anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100, 142; 77, 1, 46, 47; Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, 1998, S. 214; Achterberg/Schulte, a.a.O., Art. 44 Rdn. 70 ff; Morlok, a.a.O., Art. 44 Rdn. 28; Magiera, a.a.O., Art. 44 Rdn. 10). Gerade im Falle sog. Mißbrauchs- oder Skandalenqueten können die Nachforschungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durchaus in die Privatsphäre natürlicher oder juristischer Personen hineinreichen. Damit besteht die ernstzunehmende Gefahr eines Eingriffs in grundsätzlich abgesicherte Rechtspositionen. Da aber parlamentarische Untersuchungsausschüsse öffentliche Gewalt ausüben, haben sie über die in Art. 44 Abs. 2 S. 2 GG bereits benannten Schranken hinaus gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zu beachten, die insbesondere das Beweiserhebungsrecht einschließlich des Rechtes auf Aktenvorlage einschränken können (vgl. BVerfGE 67, 100, 142).
Gegenüber dem Beweiserhebungserecht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses können darüber hinaus aber auch Rechtspositionen einer politischen Partei betroffen und schützwürdig sein. Dies gilt auch für den aus Art. 21 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Chancengleichheit (vgl. dazu Streinz in Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 21 Rdn. 119 ff.; Morlok a.a.O., Art. 21 Rdnr. 72). Insoweit ist u.a. entscheidend, daß die Gleichheit der Chancen im Hinblick auf die Funktionserfüllung der Parteien gewährleistet wird.
Im vorliegenden Fall kann das Aktenherausgabeverlangen des Antragstellers das Recht der CDU-Landesverbandes Hessen auf Chancengleichheit deshalb tangieren, weil eine vollständige Aktenherausgabe an den Untersuchungsausschuß den konkurrierenden Parteien die Möglichkeit böte, in die Akten vorhandender Parteiinterna, die ihnen anderenfalls verschlossen wären, zur Kenntnis zu nehmen. Zu diesen kön-nen gemäß der Aufzählung des Hessischen Ministeriums der Justiz u.a. gehören: - die innere Willensbildung der Partei, - die Art und Weise der Mitgliedergewinnung, - die Namen und persönlichen Daten der Parteimitglieder, - die Art und Weise der Kandidatenauswahl für Ämter und Mandate, - die Meinungsforschung innerhalb und außerhalb der Partei, - die Strategie und die Durchführung von Wahlkämpfen, - die Wahlanalysen, - die eigene Personalpolitik und das Personalwesen, - die Namen von Kleinspendern unterhalb der Offenlegungspflicht.
4. Der Senat hatte nicht zu prüfen, ob das Hessische Ministerium der Justiz unter Anwendung dieses Kriterienkatalogs die Herausgabe von Aktenteilen an den Untersuchungsausschuß im konkreten Einzelfall tatsächlich zu Recht verweigert hat. Rechtlich relevant ist in diesem Zusammenhang vielmehr nur, ob dem Hessischen Ministerium der Justiz unter dem Gesichtspunkt der möglichen Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der CDU Hessen überhaupt eine Prüfungskompetenz zusteht. Diese Frage ist zu bejahen. Um eine effektive Wahrnehmung des Schutzes von Rechtspositionen Dritter gegenüber dem Begehren des Untersuchungsausschusses um Herausgabe von Akten zu ermöglichen, muß der aktenverwahrenden Behörde dieses Prüfungsrecht zugestanden werden. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, indem es fordert, daß die Bundesregierung gegenüber einem Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses zu prüfen hat, ob sich überhaupt geheim- zuhaltende Tatsachen in jenen Akten befinden, die mit dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen(vgl. BVerfGE 67, 100 138). Eine entsprechende Prüfungskompetenz kann als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch den §§ 96 StPO und § 5 Abs. 2 VwVfG entnommen werden.
Es sind auch keine rechtlichen Erwägungen ersichtlich, die gerade im vorliegenden Verfahren einer Prüfungskompetenz des Hessischen Ministeriums der Justiz entgegenstehen könnten.
Der Untersuchungsauftrag des Antragstellers und der Inhalt des Beweisbeschlusses 13- 140 hindern eine solche Prüfungskompetenz nicht. Insbesondere wird die Wahrung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Staatsfreiheit der CDU Hessen nicht dadurch obsolet, daß Gegenstand der Untersuchung auch etwaige Verfehlungen von CDU- Funktionären sind. Denn der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Partei vor nicht gerechtfertigten Eingriffen des Staates hier in Form der Beweiserhebung durch den Untersuchungsausschuß bleibt davon unberührt. Die Prüfungskompetenz des Hessischen Ministeriums der Justiz scheitert auch nicht daran, daß die CDU Hessen selbst gerichtlichen Rechtsschutz gegen das Begehren des Untersuchungsausschusses auf Herausgabe der strafrechtlichen Ermittlungsakten in Anspruch nehmen könnte. Denn dadurch wird die Prüfungskompetenz des Hessischen Ministeriums der Justiz, die unabhängig von der gerichtlichen Inanspruchnahme durch die CDU Hessen besteht, nicht berührt. Im übrigen weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der von der CDU Hessen gestellte Antrag, sie im vorliegenden Verfahren beizuladen, durch Beschluß vom 10.10.2000 als nicht statthaft abgelehnt worden ist (veröffentlicht in NStZ-RR 2001, 46; vgl. zur Beachtung von rechtlichen Interessen Dritter auch OLG Celle, NdsRpfleger 1990, 254).
5. Die vorstehenden Ausführungen zu den Rechtspositionen des Antragstellers und der CDU Hessen führen zu folgendem Zwischenergebnis: Es stehen sich zwei mit Verfassungsrang ausgestattete Positionen gegenüber, und zwar auf der Seite des Antragstellers das sich aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 i.V. m.Abs. 3 GG ergebende Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und auf der anderen Seite das ebenso wie Inividualgrundrechte schutzwürdige - aus Art. 21 Abs. GG abzuleitende Recht auf Chancengleichheit der Partei CDU Hessen, auf das sich auch das Hessische Ministerium der Justiz als aktenverwahrende Behörde befugtermaßen berufen darf. Eine vergleichbare Fallkonstellation lag der Flick"-Entscheidung des BVerfG zugrunde, in der sich das Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und grundrechtlicher Datenschutz gegenüber standen (vgl. BVerfGE 67 100, 143, 144).
Das BVerfG hat für seine Fallkonstellation einen Lösungsweg gewiesen, der auch eine für das vorliegende Verfahren sachgerechte Entscheidung aufzeigt. Danach müssen die auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber stehenden Rechtspositionen in konkretem Fall so zugeordnet werden, daß beide soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten (BVerfG 67, 100, 144). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den im öffentlichen Interesse liegenden Auftrag parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Mißstände und Skandale im gesellschaftlichen Bereich aufzuklären, und den jeweiligen Grundrechten des Betroffenen, wobei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist (BVerfG 67, 100, 144; vgl. auch Achterberg/Schulte, a.a.O., Art. 44 Rdn. 74, 76).
Im vorliegenden Verfahren ist eine Abwägung zunächst dahin vorzunehmen, ob eine unmittelbare vollständige Aktenherausgabe an das Plenum des Untersuchungsausschusses, die dessen Beweisrecht am effektivsten sichern würde, unter gleichzeitiger Wahrung der verfassungsrechtlich garantierten Chancengleichheit der CDU Hessen möglich ist. Diese Frage ist zu verneinen. Denn bei umfassender Aktenherausgabe ohne vorgeschaltete Prüfungsinstanz besteht die Gefahr, daß Parteiinteressen der CDU den Ausschußmitgliedern konkurrierender Parteien zur Kenntnis gelangen, obwohl diese Kenntnisnahme weder durch den Untersuchungszweck noch durch das Beweisthema gerechtfertigt ist. Dieser Gefahr kann auch nicht dadurch ausreichend begegnet werden, daß Aktenteile mit gegebenenfalls geheimhaltungsbedürftigem Inhalt als VS- Vertraulich" behandelt werden. Zwar könnte ein Bruch der Vertraulichkeit für Ausschußmitglieder strafrechtliche Konsequenzen haben. Bei der Anzahl der Mitglieder - in der Praxis hat sich bei 11 Mitgliedern eingependelt (vgl. Morlok, a.a.O. Art. 44 Rdn. 37) - wird es jedoch schwierig sein, den Vertrauensbruch einem bestimmten Mitglied zuzuordnen, zumal dies auch in schwer durchschaubarer Weise geschehen kann. Deshalb reichen in der vorliegenden Fallkonstellation auch weitere Geheimhaltungsmaßnahmen des Untersuchungsausschusses, z.B. eine vertrauliche Sitzung (vgl. dazu BVerfG 67, 100, 138), nicht aus.
Der nächste Abwägungschritt ist die Klärung der Frage, ob die kollidierenden Rechtspositionen dadurch in Einklang gebracht werden können, daß wie es derzeit geschieht, die Sichtung der Akten auf gemeinhaltungsbedürftige Inhalte allein durch das Hessische Ministerium der Justiz im Zusammenwirken mit dem Hessischen Datenschutzbeauftragten erfolgt. Auch diese Frage ist zu verneinen. Die praktizierte Regelung ist eine einseitige Berücksichtigung der Rechtsposition der CDU Hessen, die der Bedeutung des Beweiserhebungsrechtes des Untersuchungsausschusses nicht gerecht wird. Durch die einseitige Zurückhaltung von Aktenteilen ohne Mitwirkung eines Untersuchungsausschusses und ohne dessen Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der partiellen Verweigerung der Aktenherausgabe überprüfen zu können, führt zu einer unangemessenen Verkürzung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Aktenherausgabeanspruchs (vgl. BVerfG 67, 100, 144, 145).
Der Untersuchungsausschuß muß diese Verkürzung auch nicht deshalb hinzunehmen, weil er den Vorschlag des Hessischen Ministeriums der Justiz, die Akten zur Prüfung zunächst an einen neutralen Dritten herauszugeben, abgelehnt hat. Aus dieser Ablehnung dürfen dem Antragsteller schon deshalb keine Nachteile entstehen, weil er den Rechtsstandpunkt vertritt, daß die Ermittlungsakten vollständig und unmittelbar an ihn herauszugeben seien. Ob diese Auffassung zutrifft, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Rechtslage ist jedenfalls unabhängig von Auffassungen und Verhaltensweisen der Parteien" zu beurteilen.
Im Rahmen der Abwägung mit dem Ziel einer praktischen Konkordanz der kollidierenden Rechtspositionen soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, daß eine richterliche Überprüfung der Ermittlungsakten auf Geheimhaltungsbedürftigkeit vor Herausgabe der Akten an den Untersuchungsausschuß ausscheidet. Zwar hat das BVerfG in seiner Neue Heimat" Entscheidung eine solche richterliche Überprüfung in sinngemäßer Anwendung des § 98 Abs. 1 StPO für erforderlich gehalten (vgl. BVerfG 77, 1, 55). Dabei handelte es sich jedoch um beschlagnahmte Aufsichtsratsprotokolle eines privaten Unternehmens, auf deren Behandlung die §§ 94 ff. StPO i.V.m. Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG anzuwenden waren. Im vorliegenden Fall scheidet die Anwendung der §§ 94 ff. StPO jedoch aus, weil es sich bei den strafrechtlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Wiesbaden nicht um beschlagnahmte Unterlagen handelt (vgl. Pieroth, a.a.O., Art. 44 Rdn. 7,8). Im übrigen erscheint im vorliegenden Fall die Einschaltung eines Richters als Überprüfungsinstanz auch nicht sachgerecht, weil er mangels ausreichender Kenntnis der bisherigen Tätigkeit des Untersuchungsausschusses vor allem in Zweifelsfällen nicht verläßlich beurteilten kann, welche Aktenteile für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags bedeutsam sind oder sein können. Dazu sind die Mitlieder des Ausschusses viel eher in der Lage.
6. Nach den bisherigen Abwägungen ist festzustellen, daß beide Rechtspositionen unter der gebotenen Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dadurch in Einklang gebracht werden können, daß beide gewisse Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Ein geeigneter Weg hierfür ist das vom Senat so genannte modifizierte Vorsitzendenverfahren. Die Anregung zum Vorsitzendenverfahren entnimmt der Senat den Flick" und Neue Heimat" Entscheidungen des BVerfG (vgl. BVerfG 67, 100, 138, 139; 77, 1, 56). Danach muß der Untersuchungsausschuss zunächst darauf verzichten, daß ihm als Ausschußplenum die angeforderten Akten vollständig vorgelegt werden. Andererseits muß sich aber das Hessische Ministerium der Justiz damit abfinden, daß es nicht selbst endgültig über die Zurückhaltung von Aktenteilen entscheiden darf. Stattdessen sind auch die Aktenteile, deren Zurückhaltung das Hessische Ministerium der Justiz für geboten hält, an den Ausschußvorsitzenden und dessen Stellvertreter vollständig und lesbar herauszugeben. Da der Vorsitzende der SPD und der Stellvertreter der CDU angehören, ist zwar nicht zu vermeiden, daß der Vorsitzende als Angehöriger einer konkurrierenden Partei von etwaigen Parteiinterna der CDU Hessen Kenntnis nimmt. Aber dies ist als sog. kleineres Übel" im Sinne einer ausgewogenen Lösung hinzunehmen, zumal auch der Vorsitzende zur Vertraulichkeit verpflichtet ist und ein etwaiger Vertrauensbruch durch ihn leichter zugeordnet werden könnte als bei Mitwisserschaft aller Ausschußmitglieder.
Nach Übergabe der bisher zurückgehaltenen Aktenteile an die beiden Vorsitzenden, ist es deren Aufgabe, gemeinsam darüber zu entscheiden, welche Aktenteile dem Ausschußplenum zum Zwecke der Beweiserhebung vorgelegt werden sollen und welche Aktenteile dann endgültig zurückgehalten werden. Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist einmal der Untersuchungsauffassung und das Beweisthema und zum anderen Parteiinterna, die in keinem Zusammenhang mit dem Untersuchungszweck stehen.
Der Senat verkennt nicht, daß Zweifelsfälle auftreten können und eine Einigung durch die politische Gegnerschaft der beiden Vorsitzenden erschwert oder sogar verhindert wird. Deshalb war zur Auflösung einer solchen Pattsituation" die gemeinsame Bestimmung einer sachkundigen dritten Person durch beide Vorsitzende vorzusehen, die dann in Fällen fehlender Einigung über die Vorlage von Aktenteilen an das Plenum des Untersuchungsausschusses den Ausschlag geben soll. Da aber nicht auszuschließen ist, daß auch über die Bestimmung der dritten sachkundigen Person keine Einigung erzielt wird, hat der Senat für diesen Fall vorgesehen, daß er selbst diese dritte Person bestimmt. Der Senat geht davon aus, daß ihm hierzu Vorschläge von den beiden Vorsitzenden unterbreitet werden. Vorstellbar ist, daß als geeignete sachkundige Person z. B. ein Hochschullehrer in Betracht kommt.
7. Das vorstehend dargelegte und erläuterte modifizierte Vorsitzendenverfahren finden seinen Niederschlag in Ziffer 1 und Ziffer 2 a bis c, des Beschlußtenors. Die Entscheidung zu Ziffer 3. berücksichtigt die teilweise eingetretene Erledigung des Antrags durch Herausgabe eines Teils der Ermittlungsakten an den Antragsteller. Die teilweise Verwerfung des Antrags gemäß Ziffer 4. war erforderlich, weil dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Begehren auf unmittelbare vollständige Herausgabe der Ermittlungsakten an den Untersuchungsausschuß vom Senat nicht entsprochen worden ist. Eine ausdrückliche Kostenentscheidung im Tenor dieses Beschlusses war entbehrlich (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Rdn. 1 zu § 30 EGGVG). Die Kostenpflicht ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG i. V. m. den Vorschriften der Kostenordnung kraft Gesetzes. Gemäß § 30 Abs. 2 EGGVG war nicht anzuordnen, daß die Staatskasse die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen hat. Die Entscheidung hierüber hat nach billigem Ermessen zu ergehen, wobei die Erstattung einen Ausnahmetatbestand voraussetzt, der hier nicht vorliegt (KK-Kissel, StPO, 4. Aufl., Rdn. 5 zu § 30 EGGVG).
Der Gegenstandswert war gemäß § 30 Abs. 3 EGGVG i. V. m. § 30 der Kostenordnung Untergrenze 200,- DM, Obergrenze 1 Mio DM zu bestimmen. Die außerordentlich hohe Bedeutung der Sache rechtfertigt eine Festsetzung auf 100.000,- DM.
Ende der Entscheidung
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